Jong Oh - Hempel

Jong Oh folgt einer ganz eigenen künstlerischen Praxis, denn er benutzt kein Atelier, sondern gestaltet minimale Skulpturen in situ, die auf eine vorhandene räumliche Situation reagieren. Auf die Beschaffenheit des Schauplatzes und dessen jeweilige Feinheiten eingehend, baut der Künstler räumliche Gefüge aus einer begrenzten Auswahl von Materialien – Seil, Ketten, Angeldraht, Plexiglas, Holz- oder Metallstäbe und bemalte Fäden –, die er aufhängt beziehungsweise miteinander verbindet. Die Elemente des Werks scheinen zu schweben, und je nachdem, welche räumliche Beziehung ein Betrachter zu diesem einnimmt, verknüpfen und verschränken sie sich oder erwecken den Eindruck völliger Unabhängigkeit, sodass sie in dem schlichten dreidimensionalen Raum weitere Dimensionen anklingen lassen. Mal sind die Fäden, von denen die Elemente gehalten werden, praktisch unsichtbar, mal färbt der Künstler sie leicht ein und verstärkt damit die visuelle Präsenz des entsprechenden Elements. Jong verwendet auch Licht für seine Kompositionen, in denen echte Schatten oder von ihm gemalte Grafitlinien die ätherischen Gefüge erweitern und in einem Dialog von Linien und Flächen das Auftreten optischer Täuschungen begünstigen. Seine Praxis trotzt der traditionellen Erwartung, die in der Skulptur dichte Massen und schwere Gegenstände voraussetzt, vielmehr ist sie einfachen, aber komplexen Zeichnungen vergleichbar, die die Besonderheiten des Raumes hervorheben, den sie bewohnen.


In diesen paradoxen, aus Dreidimensionalität und Zweidimensionalität, Erfüllung und Zerstörung gebildeten Grenzen wird das Erleben der Schauenden zu einer Meditation über das Launische der menschlichen Wahrnehmung. Jongs Werk ist interaktiv in dem Sinn, dass bei allen seinen Arbeiten ein wahrnehmendes Verständnis nur aus der tiefen Ergründung ihrer selbst und des durch den Eingriff des Künstlers entstandenen Negativraums erwachsen kann. Oh ruft die Betrachtenden dazu auf, die eigene Wahrnehmung und das ihnen abverlangte Verhältnis zu ihrem Umfeld infrage zu stellen. Dafür bietet er einen Raum der Meditation und Besinnung vor dem Getümmel des Alltagslebens in unserer Zeit: ein feingliedriges und feingeistiges visuelles Haiku über Unversalität und den Klang des Raums.

. 2018